Minister Peter Hauk MdL: „Wir schaffen einen pragmatischen Übergang für die Ökoschweinehalter in Baden-Württemberg“. Systemumstellung bei der Kastration von Ferkeln in der ökologischen Schweinehaltung.
„Die EU-Kommission hat im vergangenen Juni auf eine Anfrage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft eindeutig erklärt, dass der Einsatz von Improvac® zur Immunokastration von männlichen Schweinen im ökologischen Landbau nicht der Rechtsauffassung der EU-Kommission entspricht. Daher kann die Immunokastration in der ökologischen Schweinehaltung auch in Baden-Württemberg – trotz deutlicher Vorteile für den Tierschutz – nicht mehr angewandt werden. Die Position der EU-Kommission zur Ablehnung der Immunokastration im Ökobereich ist für uns fachlich und rechtlich nicht nachvollziehbar. Ich hätte mir gewünscht, dass die EU-Kommission ihre Entscheidung ausführlicher begründet hätte“, sagte der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk MdL, am Montag (10. August) in Stuttgart.
Die Kastration wird vor allem wegen des bei männlichen Schweinen mit Erreichen der Geschlechtsreife häufig entstehenden Ebergeruchs durchgeführt, aufgrund dessen die Verarbeitung und Vermarktung des Fleisches von Ebern eingeschränkt ist. Die Immunokastration mit Improvac® stellt eine gute Alternative zur chirurgischen Kastration männlicher Ferkel dar, zumal diese ab 2021 nur noch mit Betäubung zulässig ist.
In Deutschland wurde die Immunokastration im ökologischen Landbau in den meisten Ländern aufgrund der Vorteile für den Tierschutz bisher toleriert, zumal das europäische Ökorecht hierzu keine eindeutige Vorgabe macht. Nach der Positionierung der EU-Kommission ist dies nun jedoch nicht mehr möglich. Die betroffenen Betriebe müssen zukünftig für die Ferkelkastration ein anderes Verfahren anwenden.
Zur Anpassung an die jetzt erfolgte Entscheidung zum Einsatz von Improvac® wird Baden-Württemberg, ebenso wie Bayern wie folgt verfahren:
- Für Ökoferkelerzeuger gilt, dass ab 1. September 2020 geborene männliche Ferkel chirurgisch entsprechend den jeweils gültigen Vorschriften kastriert werden müssen, soweit sie nicht für eine Ebermast vorgesehen sind.
- Bei Mastbetrieben wird es im Rahmen der Ökokontrolle nicht beanstandet, wenn vor dem 1. September 2020 geborene unkastrierte Eber noch mit Improvac® behandelt wurden oder werden. Dies gilt allerdings nur für Eber, die vor dem 1. Mai 2021 geschlachtet werden.
- Mit Improvac® behandelte Eber, die ab dem 1. September 2020 geboren wurden oder ab dem 1. Mai 2021 geschlachtet werden, dürfen nicht mehr mit dem Hinweis auf die ökologische Produktion vermarktet werden.
Hintergrundinformationen
Der zur Diskussion stehende Wirkstoff Improvac® ist ein synthetisch hergestellter Impfstoff, der dem körpereigenen Stoff Gonadotropin-Releasing-Faktor (GnRF) ähnlich ist (Analogon). Anders als das körpereigene GnRF ist das verabreichte Analogon hormonell nicht wirksam, sondern regt das Immunsystem des geimpften Tieres dazu an, Antikörper gegen das körpereigene GnRF zu bilden. Durch die Impfung wird das Immunsystem also dazu gebracht, das körpereigene GnRF zu blockieren. Dies hat zur Folge, dass die Bildung von Androstenon im Hoden, das eine der Ursachen für den Geschlechtsgeruch ist, gehemmt wird.
Die dauerhafte Entfernung der Hoden durch operative Kastration, die gem. Art. 18 (2) der VO (EG) Nr. 889/2008 zulässig ist, entfaltet im Ergebnis einen ungleich größeren Einfluss auf den Hormonhaushalt der Tiere, als der im Rahmen der immunologischen Kastration eingesetzte Impfstoff und stellt für die Tiere eine weitaus größere Belastung dar. Die Haltung der EU-Kommission überrascht deshalb umso mehr, da im EU-Ökorecht ausdrücklich bestimmt wird, dass das Leid von Tieren auf ein Minimum zu begrenzen ist. Auch mögliche lebensmittelrechtliche Bedenken können aufgrund der Tatsache, dass der Impfstoff für Nutztiere zugelassen ist und die Wartezeit auf null Tage festgelegt wurde, ausgeschlossen werden.
Da nach Einschätzungen von Experten die Impfung gegen Ebergeruch gegenüber dem operativen Eingriff mit Betäubung unter tierschutzfachlichen Gesichtspunkten Vorteile hat, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit einem Schreiben vom 22. Mai 2020 die EU-Kommission im Auftrag der Länderarbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (LÖK) um Klärung gebeten, weshalb diese die Impfung gegen Ebergeruch ablehnt. Die EU-Kommission hat in ihrem Antwortschreiben vom 9. Juni 2020 den Einsatz von Improvac® erneut für nicht rechtskonform mit VO (EG) Nr. 834/2007 und VO (EG) Nr. 889/20094) sowie mit den ab 1. Januar 2021 geltenden EU-Regularien (VO (EU) 2018/848) erklärt, jedoch abermals keine Herleitung mitgeliefert.