Tierschutz

Wirtschaftliches Interesse kein vernünftiger Grund für Kükentöten. Ein salomonisches Urteil?

Die Tierschutzbeauftragten der Länder begrüßen die klare Aussage in dem am 13.06.2019 ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Tötung männlicher Eintagsküken, dass ein wirtschaftliches Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen für sich genommen kein vernünftiger Grund i. S. v. § 1 Satz 2 TierSchG für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien ist.

Auch die Aufwertung des Staatsziels Tierschutz durch das BVerwG und die Feststellung, dass Abwägungen, die vor Inkrafttreten dieser Staatszielbestimmung zu Lasten des Tierschutzes vorgenommen worden sind, u. U. heute mit anderem Ergebnis vorgenommen werden müssen, wird in der Presseerklärung des BVerwG klargestellt: „Im Licht des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten.“

Damit einhergehend wird auch der Schutz des Lebens durch die Formulierung „Das Tierschutzgesetz schützt – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin“ hervorgehoben.

Das BVerwG-Urteil stellt damit eine deutliche Verbesserung der rechtlichen Situation des Tierschutzes dar, betonen die Tierschutzbeauftragten der Länder: „Es ist mit dem Grundgedanken des Tierschutzrechtes nicht vereinbar, dass dem Leben eines männlichen Kükens von vornherein jeder Eigenwert abgesprochen wird.“

Als positive Folge des Urteils wird gesehen, dass die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag vereinbart hat, das Kükentöten in 2020 zu verbieten, dieses Verbot nun auch tatsächlich gesetzlich umsetzen muss, und zwar nicht erst, wenn die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei wirtschaftlich oder gar kostenneutral sind, sondern schon dann, wenn auch nur ein einziges dieser Verfahren in den Betrieben eingerichtet werden kann, auch wenn damit für den Brütereibetrieb Mehraufwendungen verbunden sein können.

Kritisch sehen die Landestierschutzbeauftragten die erwähnten Ausnahmen, unter denen weiterhin die Praxis des Kükentötens erlaubt sein soll. Aus ihrer Sicht wäre es wünschenswert, wenn das Urteil des OVG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des BVerwG an einen anderen Senat des OVG Münster zurückverwiesen worden wäre, der die heute bestehenden Alternativen zu berücksichtigen und abzuwägen hätte.

Auch die Früherkennung des Geschlechts im Ei kann eigentlich nur ein Übergang zur Abkehr vom qualgezüchteten Turbohuhn sein, welches unter medikamentöser Fürsorge möglichst lange leistungsfähig gehalten wird und mehr Eier legt, als es die Leistungsfähigkeit des Tieres ermöglicht, ohne dass das Tier selbst dabei Schaden erleidet. Die Tiere werden damit weiterhin nicht als Lebewesen, sondern vielmehr als Produktionsware behandelt. Durch Ablehnung der sogenannten Bruderhahn-Alternative als wirtschaftlich unattraktive und damit nicht zumutbare Übergangslösung zeigte sich, dass wirtschaftliche Gründe wohl doch insgesamt zu berücksichtigen sind.

„Dass wir uns andere Methoden vorstellen könnten, mit denen das Problem der auf Höchstleistung und damit qualgezüchteten Tierrassen insgesamt angefasst wird, ist davon nicht berührt – das war leider nicht Gegenstand dieses Verfahrens“, betont die Sprecherin der Landestierschutzbeauftragten Diana Plange (Berlin). „Wir würden uns wünschen, dass sich immer mehr Verbraucher durch den Griff ins Regal nach Produkten aus alternativen Haltungsformen das Staatsziel Tierschutz zu Eigen machen“, so Plange weiter.