Naturschutz

Wildkatzen im Land weiter auf dem Vormarsch

„Aktuelle Untersuchungsergebnisse belegen, dass die vor rund hundert Jahren in Baden-Württemberg ausgestorbene Wildkatze in einigen Teilen unseres Landes wieder heimisch wird. Offensichtlich sind die im Herbst vergangenen Jahres ausgewilderten Wildkatzen Hänsel und Gretel nicht die einzigen Vertreter ihrer Art in baden-württembergischen Wäldern. Dank der hervorragenden Zusammenarbeit der staatlichen Forschungseinrichtungen, dem BUND Baden-Württemberg mit seinen ehrenamtlichen Helfern sowie der Jägerschaft können wir heute eine Karte veröffentlichen, auf der erstmals sämtliche bestätigte Wildkatzenvorkommen im Land grafisch dargestellt sind“, sagten der Minister für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz, Rudolf Köberle MdL, und die BUND-Landesvorsitzende, Dr. Brigitte Dahlbender, am Montag (1. November 2010). Ausgehend von einem ersten Wildkatzenfund im Jahr 2006 am Kaiserstuhl konnten Experten zwischenzeitlich das Vorkommen der Wildkatze zumindest genetisch an mehreren Orten entlang der Rheinschiene, im Naturpark Stromberg-Heuchelberg und am Albrand im Landkreis Esslingen bestätigen.
 
Artenschutz in Baden-Württemberg kann nur gemeinsam gelingen

„Die zunehmende Ausbreitung der Wildkatze zeigt, dass Artenschutz in Baden-Württemberg funktioniert. Offensichtlich bieten die naturnah bewirtschafteten Wälder sowie die vielfältigen Offenlandschaften eine hervorragende Lebensgrundlage“, sagte der Forstminister. „Ein Anfang für die weitere Ausbreitung der Wildkatze auf ganz Baden-Württemberg und die Sicherung ihrer Lebensräume ist gemacht“, bestätigt die BUND-Landesvorsitzende. Die Wildkatze sei ein sehr gutes Beispiel dafür, dass der Erhalt wertvoller und teilweise über Jahrhunderte gewachsener Natur- und Kulturlandschaften in einem dicht besiedelten Land wie Baden-Württemberg einen wichtigen Beitrag zum Natur- und Artenschutz leisten könne. Derzeit würde das Verhalten von zehn Wildkatzen im Rahmen eines Wildkatzenprojekts der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) mithilfe von Peilsendern untersucht.
 
Auch zeige das Wildkatzenprojekt, dass die Zusammenarbeit zwischen privaten Naturschutzorganisationen wie dem BUND, der Jägerschaft, den staatlichen Forschungseinrichtungen sowie dem Landesbetrieb ForstBW zielführend sei. „Erfolge beim Arten- und Naturschutz hängen nicht von isoliert zu betrachtenden Einzelfaktoren ab, sondern sind auf ein ganzes Bündel an Einflussfaktoren zurückzuführen“, betonten Köberle und Dahlbender. Es sei deshalb geboten, bei der Weiterentwicklung des Artenschutzes einen integrativen Ansatz zu verfolgen. Diesen Ansatz verfolge der BUND in seiner großen Informationskampagne „Biotopvernetzung - Netze des Lebens“, das mit EU-Mitteln über das LIFE+-Programm gefördert werde. Mit Ausstellungen, Erlebnispfaden, Pflanztagen, Ortsterminen für Entscheidungsträger und vielem mehr zeige die Kampagne, wie wichtig die Vernetzung von Lebensräumen für die Bewahrung der biologischen Vielfalt sei, erklärte Dahlbender. „Nur wenn Politik, Behörden, Bürger und Umweltschutzverbände gemeinsam an einem Strang ziehen, ist der Rückgang der Artenvielfalt zu stoppen“, betonten Dahlbender und Köberle.
 
Vernetzung wertvoller Lebensräume von zentraler Bedeutung

„Das Konzept einer naturnahen Waldwirtschaft ist die richtige Antwort auf die vielfältigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Ansprüche an den Wald. Nur in naturnah bewirtschafteten Wäldern können sich die Wildkatze und andere größere Tiere weiter ausbreiten“, sagte Dahlbender. Allerdings sei es wichtig, die wertvollen Lebensräume miteinander zu vernetzen. „Die Intensivierung der Landnutzung und die stetig zunehmende Zerschneidung der Landschaft durch Verkehrsachsen haben zu einer Zersplitterung vieler Wildtierlebensräume geführt“, betonte die BUND-Landesvorsitzende. Ein wichtiger Schritt sei der im Sommer von der Landesregierung verabschiedete landesweite Generalwildwegeplan, der in die Planung von Infrastrukturprojekten einzubeziehen sei, sagten Köberle und Dahlbender. Dieser umfasse überörtliche Wanderstrecken für Wildtiere und verbinde insbesondere die großen Waldgebiete im Land. So bestehe beispielsweise eine Achse vom Nordschwarzwald über den Schönbuch bis auf die Schwäbische Alb.
 
 
Hintergrundinformationen:

In Baden-Württemberg galt die Wildkatze seit 1912 als ausgestorben. Im Januar 2006 wurde der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg eine überfahrene Katze mit dem Habitus einer Wildkatze bei Breisach am Kaiserstuhl gemeldet, die in Folge zweifelsfrei als Wildkatze bestätigt werden konnte. Ein zweiter Wildkatzennachweis gelang exakt ein Jahr später wiederum am Kaiserstuhl.

Seither lief eine systematische   „Rasterfahndung“ nach der Wildkatze auch in anderen Regionen, die von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg (FVA), der Wildforschungsstelle in Aulendorf (WFS) und dem BUND mit der Lockstock-Methode durchgeführt wurde. Bei dieser Methode werden die Katzen mittels Baldrian an eine angerauhte Holzlatte (= Lockstock) gelockt, woran sie sich reiben und ihre Haare hinterlassen. Über eine genetische Analyse konnten mit dieser Methode insbesondere im Kaiserstuhl und in der Rheinebene zahlreiche Wildkatzen nachgewiesen werden. Der spektakulärste Nachweis gelang allerdings per Zufall im Juni 2009: Damals fand eine Joggerin zwei junge Katzen in der Nähe von Baden-Baden, die vom Genetiklabor der FVA eindeutig als Wildkatzen identifiziert werden konnten. Die circa fünf Wochen alten Tiere wurden von den Forschern auf die Namen „Hänsel“ und „Gretel“ getauft, im Sommer 2009 in einer Auswilderungsstation in der Eifel aufgepäppelt und im Oktober 2009 in der Nähe des Fundortes wieder in die Freiheit entlassen. Dabei wurden sie mit Halsbandsendern versehen und sind seither Teil des Wildkatzenprojektes der FVA in der Oberrheinebene.
 
Erläuterungen zur Verbreitungskarte


Während bei der Lockstockmethode über die genetische Analyse ein Wildkatzennachweis erbracht wird, gibt es bei Totfunden von Katzen auch noch die Möglichkeit morphometrischer Untersuchungen. Darunter versteht man das Messen bestimmter Körperteile (zum Beispiel Schädelvolumen und Darmlänge), bei denen sich Wild- und Hauskatzen eindeutig unterscheiden. Am aussagekräftigsten sind hier die Schädelmaße, die eine ebenso sichere Aussage wie die Genetik erlauben.
 
Ein Schwerpunkt der Wildkatzenverbreitung in Baden-Württemberg liegt aktuell im Gebiet Kaiserstuhl und den dort angrenzenden Rheinauenwäldern. Ob die gesamte Rheinebene bereits durch die Wildkatze besiedelt ist, ist noch unklar. Die Lockstockuntersuchungen bei Schwanau ( Ortenaukreis ) und Karlsruhe sowie die Funde im Landkreis Rastatt lassen jedoch eine Verbreitung entlang des Rheins vermuten. Durch die Nähe zu der in Basel-Land (Schweiz) nachgewiesenen Wildkatzenpopulation ist der Totfund nahe der Schweiz im Hinblick auf den Ursprung der bei uns lebenden Wildkatzen von besonderem Interesse. Genetische Analysen werden hier Aufschluss über eventuelle Verwandtschaftsbeziehungen geben können.

Der Wildkatzennachweis mittels Lockstöcken bei Esslingen sowie der Totfund am Stromberg sprechen aufgrund des geringen Probenumfangs (Esslingen: ein Lockstock mit lediglich einer Haarprobe; Stromberg: Totfund wurde genetisch bestätigt, Körpermaße waren jedoch nicht eindeutig) aktuell noch nicht für ein gesichertes Vorkommen der Wildkatze in diesen Bereichen. Hier ist es besonders wichtig weitere Wildkatzennachweise zu erbringen, um Klarheit zu haben.
Die nördlichsten Wildkatzennachweise können erst nach Absprache mit Experten aus Bayern und Hessen eindeutig interpretiert werden.

Sollten Sie Wildkatzen beobachtet haben, vor allem in Gebieten die auf der Verbreitungskarte nicht eingezeichnet sind, wenden Sie sich bitte an den in Ihrem Landkreis zuständigen Wildtierbeauftragten an der unteren Forstbehörde oder direkt an die Wildforschungsstelle Aulendorf oder die Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg.
 
Auf der Internetseite der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg (  www.fva-bw.de ), der Wildforschungsstelle in Aulendorf
(www.landwirtschaft-mlr.baden-wuerttemberg.de/servlet/PB/menu/1040454_l1/index1241097210642.html  ) und des BUND-Landesverbandes ( http://www.bund-bawue.de ) kann diese Karte eingesehen und heruntergeladen werden.

Bei Fragen können Sie sich wenden an:
Dr. Rudi Suchant, Stéphanie Kraft, Sarah Veith / FVA: Tel. 0761/40180 sowie Berthold Frieß, Laura Bollwahn / BUND: Tel. 0711.620306-0
 
Weitere Informationen zum Thema Waldwirtschaft finden sich auf der Internetseite des Ministeriums für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz unter www.mlr.baden-wuerttemberg.de sowie auf den Seiten des Landesbetriebs ForstBW unter www.forstbw.de .
 
Nähere Informationen zur Arbeit des BUND-Landesverbands Baden-Württemberg finden Sie unter www.bund-bawue.de .

Quelle:

Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz Baden-Württemberg